Kunst gegen die Zerstörung

Von Milena Österreicher · · 2023/Nov-Dez
Künstler:in, Menschenrechtsaktivist:in, Biolog:in: Der Amazonas inspiriert Uýra in ihrer Arbeit. © Keila Sankofa

Die queere indigene Künstler:in Uýra aus Brasilien engagiert sich für Umweltschutz und sensibilisiert für die Rechte indigener Communities. Sie war im Herbst zu Gast in Wien.

Kunst inmitten verschmutzter Flüsse oder in Müllbergen am Rande des brasilianischen Amazonas: Uýras Körper ist künstlerisch bemalt mit Zweigen, Muscheln, Blättern, Samen und Blumen. Archaisch und zugleich futuristisch wirkt ihr Kostüm aus vorwiegend natürlichen Materialien. Das Aussehen der queeren indigenen Künstler:in verändert sich dadurch fortlaufend, so wie die Natur. Uýra möchte damit etwa an die Fische in den Flüssen erinnern, an deren Kampf zu überleben, trotz Müll und Vergiftung. Oder an die Pflanzen in der Stadt, die sich auf Wänden und Straßen durch die Betonwüste drängen und wieder Besitz ergreifen.

Uýra erzählt mit ihrem Körper, über die Natur, durch Vorträge, Performances, Workshops und Straßeninterventionen. Ihre Geschichten kreisen um das Leben in der brasilianischen Peripherie, die Amazonas-Abholzungen und andere Umweltbedrohungen.

Uýras Kunst wurde vielfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem Foco Art Rio Award 2023. Im Jahr 2020 war sie auf dem Cover der Vogue Brasil zu sehen. Im Rahmen des Artist-in-Residence-Programms, einer Zusammenarbeit der Initiative Kulturen in Bewegung und der Kunstplattform „Das Weisse Haus“, verbrachte die 32-Jährige den Herbst in Österreich. Uýra ist viel beschäftigt, in Wien stehen Workshops und Präsentationen ihrer Arbeit an. Auf die Fragen des Südwind-Magazins antwortete sie deshalb im Austausch per E-Mail.

Der Beginn. „Uýra war schon immer in mir, doch ab 2016 ging sie auch an die Öffentlichkeit“, schreibt die Künstler:in. Uýra ist eine sogenannte Two-Spirit-Person. Two-Spirit ist ein Begriff, der in verschiedenen indigenen Communities verwendet wird und die kulturelle, spirituelle, sexuelle und geschlechtliche Identität umfasst.

Während des Amtsenthebungsverfahrens 2016 gegen die damalige Präsidentin Dilma Rousseff fanden aus Protest verschiedene künstlerische Interventionen statt. Emerson Pontes aka Uýra suchte in dieser Zeit nach einer Möglichkeit, einen Beitrag zu aktuellen Debatten zu leisten. Neben seinem Biologie-Studium und der pädagogischen Arbeit in Sachen Umwelterziehung begann Emerson, sein Wissen in Gestalt von Uýra mit den Menschen im Amazonasgebiet zu teilen.

Uýra lebt heute am Rande der Großstadt Manaus, umgeben von Nebenflüssen des Rio Negro. Sie arbeitet unter anderem mit Gemeinden an den Flussufern, um für die Umwelt und die Bedrohungen durch Abholzung und Konzernaktivitäten zu sensibilisieren. „Ich erkannte die Kommunikationskraft der Kunst und beschloss, sie zu nutzen, um der Welt meine kulturellen, sozialen, ökologischen und spirituellen Realitäten zu vermitteln“, so Uýra.

Ihr Körper spielt eine zentrale Rolle in ihrer Kunst- und Wissensvermittlung. „Jeder Körper hat das Recht zu erzählen, was er erlebt: Mein indigener, diasporischer, transsexueller, peripherer, amazonischer Körper erzählt Geschichten über meine Territorien“, beschreibt Uýra.

In ihrer Arbeit verbindet sie oft den Kampf für LGTBIQ+- und Umweltrechte. „Die Wälder weltweit haben die gleiche Vielfalt wie die Menschen“, erklärt die Aktivist:in die Verbindung. „Diese Vielfalt ist wunderschön, uralt und voller unglaublicher Geschichten, von denen die Welt lernen kann, aber es ist auch eine Vielfalt, die durch koloniale, patriarchale und kapitalistische Projekte bedroht ist“, sagt Uýra.

Koloniale Auslöschung und indigener Widerstand sind wiederkehrende Themen in Uýras Kunst. © Lisa Hermes

Landrechte. Viele Angehörige indigener Gemeinschaften in Brasilien befinden sich bis heute in einem ständigen Kampf um ihr Land. Ende September dieses Jahres erklärte der Oberste Gerichtshof Brasiliens die sogenannte Stichtagsregelung für verfassungswidrig, die von der mächtigen Agrarlobby bis dato unterstützt wird.

Diese besagt, dass nur solches Land als Schutzgebiet anerkannt werden darf, das zum Zeitpunkt der Verkündung der aktuellen brasilianischen Verfassung, also im Jahr 1988, von Indigenen bewohnt worden war. Eine große Beschränkung, denn viele Indigene wurden etwa während der Militärdiktatur in den Jahren 1964 bis 1985 von ihrem Lebensraum vertrieben.

Die Richterin Cármen Lúcia vom Obersten Gerichtshof verwies auf die „unbezahlbare Schuld“ der brasilianischen Gesellschaft gegenüber den indigenen Völkern. Aktuell steht allerdings noch nicht fest, ob und wie die Nachfahren der indigenen Gemeinschaften ihre Länder von vor 1988 de facto zurückbekommen sollen.

Mehr Repräsentation. Uýra hofft auf die aktuelle Regierung des Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva. „Es ist eine deutliche Verbesserung zur vorherigen Regierung. Dennoch brauchen wir immer noch eine größere Vielfalt in diesen Machträumen der institutionellen Politik“, fordert sie.

Zumindest in der Repräsentationsfrage zeigen sich Fortschritte. Im brasilianischen Parlament sitzen nach den Wahlen im Vorjahr erstmals Politiker:innen, die sich als Transpersonen identifizieren, wie Erika Hilton und Duda Salabert. Präsident Lula schuf ein Ministerium für indigene Völker.

Mit Sônia Guajajara trat darin die erste indigene Ministerin ihr Amt an. Anfang Oktober 2023 wurde nun der Autor Ailton Krenak als erstes indigenes Mitglied in die Academia Brasileira de Letras (Deutsch: Brasilianische Akademie der Literatur) gewählt.

Als indigene Transperson im heutigen Brasilien ist Uýra dennoch mit Anfeindungen konfrontiert. „Es bedeutet für mich, widerständig zu bleiben, um kollektiv in Würde leben zu können“, sagt sie. Im Einklang mit dem Amazonas und dem Wissen ihrer Vorfahren.

Milena Österreicher ist Chefredakteurin des MO-Magazins für Menschenrechte. Zudem schreibt sie als freie Journalistin über Feminismus, Menschenrechte und Migration.

Doku mit Uýra: doc-uyra.com

Basic

Berichte aus aller Welt: Lesen Sie das Südwind-Magazin in Print und Online!

  • 6 Ausgaben pro Jahr als Print-Ausgabe und/oder E-Paper
  • 48 Seiten mit 12-seitigem Themenschwerpunkt pro Ausgabe
  • 12 x "Extrablatt" direkt in Ihr E-Mail-Postfach
  • voller Online-Zugang inkl. Archiv
ab € 25 /Jahr
Abo Abschließen
Förder

Mit einem Förder-Abo finanzieren Sie den ermäßigten Abo-Tarif und ermöglichen so den Zugang zum Südwind-Magazin für mehr Menschen.

Jedes Förder-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.

84 /Jahr
Abo Abschließen
Soli

Mit einem Solidaritäts-Abo unterstützen Sie unabhängigen Qualitätsjournalismus!

Jedes Soli-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.

168 /Jahr
Abo Abschließen